Das exakte Denken der Naturwissenschaften ist zwar ungeheuer effektiv – aber nicht umfassend. Große Männer der Naturwissenschaft, wie zum Beispiel Werner Heisenberg, haben das, glaube ich, immer gewußt, ja ich vermute, daß ihre großen naturwissenschaftlichen Leistungen ihre entscheidenden Anstöße aus einem Denken erhielten, das über das engere naturwissenschaftliche Denken weit hinausreichte. Aber den Studenten der Naturwissenschaft, der Technik, der Nationalökonomie wurde dieser Zusammenhang auf den Universitäten kaum noch gelehrt. Das einschichtige naturwissenschaftliche, technische, wirtschaftliche Denken nahm allmählich einen so breiten Raum in vielen Köpfen ein, daß für ein umfassenderes Denken kaum noch Platz blieb. Wenn ich vorn einschichtigen Denken spreche, so von Prf. Dr. Dr. h.c. Frederic Vesterschließt das natürlich die höchste Subtilität nicht aus. Ja, gerade weil dieses Denken nur der strengen Logik verpflichtet ist, konnte es schwindelnde Höhen der Abstraktion erklimmen. In diesen Höhen ging nun auch der Zusammenhang der immer zahlreicheren Naturwissenschaften selbst immer mehr verloren. Wissenschaftler beklagten immer lauter, daß sie kaum noch ihr Spezialgebiet überblicken könnten. Je weiter man forschte, desto unübersichtlicher wurde das Ganze. Eine ähnliche Entwicklung gab es in der Technik, in der Wirtschaft, in der Politik. Technischer und wirtschaftlicher Fortschritt führten zu immer größerer Spezialisierung, und damit zu immer größerer Komplexität der Gesamtsysteme Technik und Wirtschaft – und damit auch der Gesellschaft. Überall wurde versucht, den auftauchenden Schwierigkeiten durch die Ausbildung neuer Spezialisten zu begegnen. Arbeitsteilung auf Arbeitsteilung erfolgte. Immer mehr Techniken, immer mehr Produkte, immer mehr Ministerien und Ausschüsse und Kommissionen waren die unausbleibliche Folge. Wie sich dies alles untereinander und zum Menschen und zu unserer Kultur, und wie sich dieser ganze unendliche Komplex zur Natur verhielt, entschwand mehr und mehr dem Blick. Heute beginnen wir wieder zu erkennen, daß Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft, Politik je einzelne sehr komplexe Systeme sind, die ein einziges großes System bilden, das seinerseits mit der Natur ein Gesamtsystem bilden muß, soll die Lebensgrundlage des Menschen erhalten bleiben. Wir beginnen zu erkennen, daß wir kein einziges Proble~ lösen können, wenn wir es außerhalb seines Gesamtzusammenhangs lösen wollen. Was also ist zu tun? Mit vielen nachdenklichen Menschen glaube ich, wir müssen unser Denken ändern. Wir müssen die Methode, ein Problem erst zu isolieren, bevor wir es lösen, aufgeben und zunächst den Gesamtzusammenhang, in dem es steht, zu erkennen suchen. Wir müssen in größeren Einheiten denken lernen. Das gilt für alle Bereiche unseres Lebens: für die Wissenschaften, die Technik, die Wirtschaft, die Massenmedien und nicht zuletzt auch für die Politik. Das gilt für alle Gruppen der Gesellschaft. Ich bin fest davon überzeugt, daß keine Gruppe ihre Interessen noch richtig definiert, wenn sie nur ihre Partikular-Interessen im Auge hat und vergißt, daß die Lebensfähigkeit der Gesamtgesellschaft die erste und wichtigste Bedingung ihrer eigenen Existenz ist.«